Modelle zur Nachsorge

Das Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation

Im neunten Sozialgesetzbuch (SGB IX) werden der rechtliche Rahmen und die Regeln festgelegt, die für Menschen mit Behinderung und von Behinderung bedrohte gelten. Als vorrangiges Ziel wird in §1 die Selbstbestimmung und die gleichberechtigte Teilhabe am Leben in der Gesellschaft benannt. Neurologische Erkrankungen und Verletzungen des zentralen Nervensystems führen i.d.R. zu erworbenen Hirnschädigungen. Die neurologische Rehabilitation von Menschen mit erworbenen Hirnschädigungen (MeH) hat sich an den Zielen des SGB IX zu orientieren und soll vor allem die weitestgehende Wiedererlangung von Selbstbestimmung und Teilhabefähigkeit anstreben.

Die Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR) beschreibt ein Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation für Erwachsene, in das auch die ambulante neuropsychologische Behandlung als ein Baustein der Nachsorge in der Phase E integriert ist.

Modell nach BAR (angelehnt an Fries et al., 2007 u. BAR, 2013):

Das Modell beschreibt trägerübergreifende Rahmenempfehlungen.

Es unterscheidet zwar mehrere Rehabilitationsphasen, es ist aber nicht chronologisch zu verstehen. Ein Betroffener durchläuft nicht unbedingt alle Phasen, sondern kann in Abhängigkeit der Beeinträchtigungen auf unterschiedlichen Ebenen der Behandlungskette in die ambulante Nachsorge, also in die Phase E, gehen.  

Phasenmodell der neurologischen Rehabilitation

AAkutphase Intensivstation, Stroke Unit, erste rehabilitative AnsätzeUnabhängigkeit von Maschinen und dauernder PflegeBiologische Autonomie:
Überleben, Vitalfunktionen
BFrührehabilitation
Vorhalten intensivmedizinischer
Behandlung nötig
CWeiterführende Rehabilitation
Frühmobilisation, Bedarf an kurativen u. pflegerischen
Maßnahmen
Unabhängigkeit von Pflege, Betreuung und ständiger Hilfestellung
Funktionen und Aktivitäten
Funktionelle Autonomie:
Schlucken, Toilette, Selbstversorgen, Mobilität, Kommunikation
DAnschlussheilbehandlung
Stationäre oder teilstationäre
Rehabilitation nach der
Frühmobilisation
Unabhängigkeit, selbstbestimmte Lebensführung, Leben in der Gemeinschaft, PartizipationSoziale Autonomie:
Reintegration häuslich, familiär, sozial, schulisch, beruflich
EAmbulante Rehabilitation
Nachsorge, Leistungen zur
Sicherung des Erfolges der
Reha, Heilmittel
Familiäre, soziale und berufliche
Wiedereingliederung, selbstbestimmtes und selbständiges Leben in der Gesellschaft
Sicherung und Ausbau der sozialen Autonomie

Phase E: Einordnung der Ziele des SAV

Neurologische Erkrankungen des Gehirns sind häufig komplex und vielschichtig. Das Lebensumfeld, aus dem Betroffene kommen und in das sie zurückkehren, die Persönlichkeit, die Sozialisation und die Biografie nehmen Einfluss auf die Folgen der Hirnschädigung, den Verlauf der Genesung und die Reintegration. Dies gilt es in jeder Rehaphase zu berücksichtigen. Weiterer Behandlungsbedarf nach einer medizinischen Rehabilitation besteht, wenn alltagsrelevante Beeinträchtigungen wie sensomotorische, kognitive, sprachliche oder emotionale Störungen oder eine psycho-physiologische Minderbelastbarkeit (schnelle Ermüdung) weiterbestehen.

In der ambulanten Nachsorge werden folgende Ziele verfolgt:

Die ICF der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Die ICF (International Classification of Functioning) gehört zur Gruppe der gesundheitsrelevanten Klassifikationen der WHO und bietet die Möglichkeit die Auswirkungen eines Gesundheitsproblems auf unterschiedlichen Ebenen zu beschreiben. So sollen nicht nur die medizinischen Grunderkrankungen und ihre Behandlung, sondern auch die psychosozialen Folgen berücksichtigt werden.

Bereits seit 2001 hat die WHO die Verwendung der ICF empfohlen, denn diese Systematik ermöglicht eine standardisierte Beschreibung von Gesundheitszuständen und der damit zusammenhängenden Aspekte einschließlich der Aktivitäten und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Durch eine alltagsnahe, konkrete Beschreibung der Beeinträchtigungen soll die Verwendung der ICF verschiedenen Nutzern*innen, wie Fachleuten im Gesundheitswesen, den Betroffenen selbst, den Sozialleistungsträgern, aber auch Wissenschaftlern*innen und Politikern*innen den Austausch erleichtern.

Ziel ist es, sowohl individuelle Rehamaßnahmen als auch gesundheitspolitische Entscheidungen adäquater treffen zu können sowie die Kommunikation unter allen Beteiligten zu erleichtern.

Struktur der ICF

Das Vorliegen einer Erkrankung führt häufig zu Veränderungen an Körperstrukturen und/oder Köperfunktionen und ist damit Grundlage zur Nutzung der ICF, die aus zwei Teilen mit jeweils zwei Komponenten besteht.

Teil 1 beinhaltet „Funktionsfähigkeit und Behinderung“ und enthält die Komponenten „Körperfunktionen und -strukturen“ sowie „Aktivitäten und Partizipation (Teilhabe)“.

Teil 2 beinhaltet „Kontextfaktoren“ und ist untergliedert in die Komponenten „Umweltfaktoren“ und „Personenbezogene Faktoren“.

ICF-Modell

Das folgende Modell fasst diese Faktoren zusammen und zeigt auch die Wechselwirkungen der Komponenten auf. Dabei wird deutlich, dass Beeinträchtigungen kein statischer Zustand sind, sondern dynamischen Veränderungsprozessen unterliegen können. Darüber hinaus verändert diese Betrachtungsweise den Blick von einer eher kausalen Sicht (Krankheit > Aktivitätseinschränkung > Behinderung) hin zu den Wechselwirkungen zwischen Gesundheitsproblem, Funktionsfähigkeit und Kontextfaktoren eines Menschen. Dabei können stützende Faktoren und Ressourcen in diesem Modell durchaus auch berücksichtigt werden.

Bildbeschreibung folgt nach dem Bild

Körperfunktionen sind die einzelnen physiologischen und psychischen Funktionen von Körpersysteme (z.B. mentale, kardiovaskuläre, hämatologische oder bewegungsbezogene Funktionen). Die Körperstrukturen sind die anatomischen Teile des Körpers (z.B. Struktur des Nervensystems).

Eine Aktivität stellt die Fähigkeit zur Durchführung einer Aufgabe oder einer Handlung in einer bestimmten Situation dar (z.B. Lernen und Wissensanwendung, Mobilität).

Die Teilhabe (Partizipation) kennzeichnet die Integration in eine Lebenssituation (z.B. interpersonelle Beziehungen, Arbeit, Freizeitgestaltung).

Umweltfaktoren bilden die materielle, soziale und einstellungsbezogene Umwelt, in der Menschen leben und ihr Leben gestalten (z.B. Technologien, soziales Netz, Gesundheitsangebote).

Personenbezogene Faktoren sind in der ICF nicht extra klassifiziert, setzen sich jedoch aus Komponenten wie Geschlecht, Religion, ethnische Zugehörigkeit, Alter, Fitness, Lebensstil, Gewohnheiten, Erziehung, Bewältigungsstile, sozialer Hintergrund, Bildung und Ausbildung, Beruf sowie vergangene oder gegenwärtige Erfahrungen, allgemeine Verhaltensmuster und Charaktereigenschaften zusammen.

Im ambulanten und stationären Behandlungskontext helfen die ICF-Faktoren im Hinblick auf die Planung und Durchführung von Maßnahmen im Zugang zur Rehabilitation, in medizinischen Rehabilitationseinrichtungen, zur Behandlung im Krankenhaus sowie in der beruflichen Rehabilitation.